VG Koblenz, Beschluss vom 10.03.2022
Az.: 1 L 35/22.KO
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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf _ _ _ € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 12. Januar 2022 gegen die in Ziffer 1 Buchst. a–f des Bescheids der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 2021 enthaltenen eisenbahnaufsichtlichen Verfügungen wiederherzustellen und gegen die in Ziffer 3 Sachgebiet: Sicherheitsrecht, Aufsichtsrecht Gericht: VG Koblenz Entscheidungsdatum: 11.03.2022 Aktenzeichen: 1 L 35/22.KO Dokumenttyp: Beschluss Normen: § 80 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 VwGO, § 4 Abs. 3 S. 2 AEG, § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 a Nr. 1 lit. a AEG, § 5a Abs. 2, Abs. 9 AEG, § 6 Abs. 1 AEG, § 11 Abs. 1 AEG, § 9 Abs. 1 lit. b VwVG, § 11 VwVG, § 13 VwVG, § 37 VwVG, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BEVVG, § 10 ERegG Stichworte: Vegetation, betriebssicher, Sicherheit, Eisenbahninfrastruktur, Aufsicht, Betriebspflicht, Kosten, Instandhaltung, Bestimmtheitsgebot, Instandsetzungsverfügung, Maßnahmen, verhältnismäßig, Sanierung, rechtsmissbräuchlich, Netzzugang, Zugangsanspruch, diskriminierungsfrei, Zwangsgeld 2 verfügte und nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sofort vollziehbare Kostenfestsetzung anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Soweit die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die in Ziffer 1 Buchst. a und b des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 2021 verfügte Herstellung der Profilfreiheit nebst Zwangsgeldandrohung begehrt, ist der Antrag bereits unzulässig. Hierfür fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn dieses dem Rechtsschutzsuchenden im Erfolgsfalle keinerlei tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt. Im Falle eines vollzogenen Verwaltungsaktes gilt dies insbesondere dann, wenn ein Rückgängigmachen der Vollziehung offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 80 Rn. 136). So liegen die Dinge hier. Die gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung würde die Antragsgegnerin hier nur daran hindern, von ihrer Anordnung vor Eintritt der Bestandskraft des Widerspruchsbescheides Gebrauch zu machen und diese unter Festsetzung des angedrohten Zwangsgelds durchzusetzen. Schutz hiervor kann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung indes nicht mehr bieten, denn die Durchsetzung der Anordnung, die Profilfreiheit herzustellen, ist nicht mehr möglich. Die Antragstellerin ist der Anordnung der Antragsgegnerin insoweit nämlich vollumfänglich nachgekommen. Sie hat ausweislich des vorgelegten internen Schreibens vom 12. Januar 2022 in der Zeit vom 20. November 2021 bis 17. Dezember 2021 die Vegetation im Bereich des Streckengleises der Strecke […] von L. bis B. zurückschneiden lassen und damit die Profilfreiheit der Strecke wiederhergestellt. Die Antragsgegnerin bestreitet dies nicht und hat angekündigt, von dem angegriffenen Bescheid insoweit keinen Gebrauch zu machen. Ohnehin scheidet es offensichtlich aus, den ausgeführten Vegetationsrückschnitt rückgängig zu machen.
Auch mit ihrem Einwand, die Verfügung sei rechtswidrig, da sie erst nach Ausführung der Vegetationsarbeiten ergangen sei, kann die Antragstellerin nicht durchdringen. Denn das insofern verfolgte Feststellungsbegehren kann nicht Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO sein (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO).
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Kostenfestsetzung in Ziffer 3 des angegriffenen Widerspruchsbescheides anzuordnen, ist ebenfalls unzulässig. Bei öffentlichen Abgaben und Kosten ist gerichtlicher Eilrechtsschutz gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nur zulässig, wenn zuvor ein bei der Behörde gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt worden ist. Einen solchen Aussetzungsantrag hat die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin indes nicht gestellt. Das war im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich, da keiner der in § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO geregelten Ausnahmefälle vorliegt. Anders als die Antragstellerin meint, ist es dabei ohne Bedeutung, dass sie einem solchen Antrag keine Erfolgsaussichten beigemessen und aus diesem Grund auf die Antragstellung verzichtet hat. Denn eine derartige Ausnahme von dem Antragserfordernis würde dem gesetzgeberischen Ziel, den Vorrang der vorherigen verwaltungsinternen Kontrolle zu stärken, zuwiderlaufen und ist im Gesetz bewusst nicht vorgesehen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 26. Februar 1999 – 6 B 10198/99.OVG –, ESOVGRP).
Im Übrigen ist der Antrag zwar zulässig, aber unbegründet.
Die im angegriffenen Widerspruchsbescheid in Ziffer 1 Buchst. g enthaltene und sich auch auf die streitigen Verfügungen in Ziffer 1 Buchst. c–f beziehende Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes ist in einer § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet. Darüber hinaus ergibt die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnungen das private Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung überwiegt.
Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und damit auch im vorliegenden Fall, in dem die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse angeordnet worden ist, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dieses Erfordernis hat die Antragsgegnerin beachtet. Sie hat auf den Seiten 24–25 ihres Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2021 die Anordnung des Sofortvollzuges gesondert begründet. Die Begründung ist auch nicht bloß formelhaft. Vielmehr lassen sich ihr hinreichend deutlich die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen entnehmen, die aus Sicht der Antragsgegnerin zu einem besonderen Vollzugsinteresse führen. Die Antragsgegnerin befürchtet, dass ohne die Anordnung des Sofortvollzuges im Falle der – hier auch erfolgten – Klageerhebung die Daseinsvorsorge in der betroffenen Region leiden würde und die von der Beigeladenen beabsichtigten Fahrten endgültig verhindert werden würden. Deshalb, so die Antragsgegnerin, bestehe an der sofortigen Vollziehbarkeit der eisenbahnaufsichtlichen Anordnungen ein besonderes Interesse, welches das Interesse der Antragstellerin, von der Vollstreckung vorläufig verschont zu werden, überwiege. Ob diese Einschätzung der Antragsgegnerin inhaltlich zutrifft, ist für die Einhaltung des § 80 Abs. 3 VwGO nicht erheblich.
Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich. Ist der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so ist eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten. Umgekehrt überwiegen die Interessen der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung, wenn der eingelegte Rechtsbehelf aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, hängt das Ergebnis der Abwägung von dem Gewicht der betroffenen gegenseitigen Interessen und der jeweiligen Folgen der Entscheidung ab.
Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zulasten der Antragstellerin aus. Nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage vermag die Kammer weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Anordnungen unter Ziffer 1 Buchst. c–f des Widerspruchsbescheides der Antragsgegnerin vom 29. Dezember 2021 festzustellen.
Die Anordnung unter Ziffer 1 Buchst. c des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 2021, die Strecke […] nebst den dazugehörigen Serviceeinrichtungen im Abschnitt von S. bis B. in einen technischen Zustand zu versetzen, der einen Zugverkehr ermöglicht, ist auf § 5a Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) gestützt. Die damit verbundene Zwangsgeldandrohung in Höhe von _ _ _ € (Ziffer 1 Buchst. d) für den Fall, dass die Antragstellerin die Strecke […] 4 nicht innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung des Widerspruchsbescheides instand setzt, kann ihre Rechtsgrundlage nur in § 5a Abs. 9 AEG i. V m. § 6 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Buchst. b, § 11, § 13 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) finden. Nach diesen Vorschriften kann die zuständige Eisenbahnaufsichtsbehörde (hier gemäß § 5 Abs. 1a Nr. 1 Buchst. a AEG i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz die Antragsgegnerin) gegenüber den nach § 5 Abs. 1 AEG Verpflichteten diejenigen Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße unter anderem gegen Vorschriften des AEG erforderlich sind. Zu diesen Vorschriften des AEG zählt die in § 4 Abs. 3 Satz 2 und § 11 Abs. 1 AEG normierte Pflicht der Betreiber von Eisenbahnanlagen, ihre Eisenbahninfrastruktur zu betreiben und in einem betriebssicheren Zustand zu erhalten. Die nach § 5a Abs. 2 AEG angeordneten Maßnahmen kann die Eisenbahnaufsichtsbehörde nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes durchsetzen und dabei ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu _ _ _ € androhen.
Ausgehend hiervon kann das Gericht im vorliegenden Eilverfahren die Rechtmäßigkeit der streitigen Anordnungen nicht abschließend beurteilen.
Zwar sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der § 5a Abs. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 AEG bzw. der § 5a Abs. 9 AEG, § 6 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Buchst. b, § 11, § 13 VwVG gegeben.
Insbesondere erfüllt die Antragstellerin ihre Pflicht zum Betrieb der Bahnstrecke […] zwischen S. und B. derzeit nicht, da sich dieser Streckenabschnitt den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten zufolge nicht in einem betriebssicheren Zustand befindet und aus diesem Grund für den Verkehr gesperrt ist. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2007 – 3 C 51.06 –, BVerwGE 129, 381–392, Rn. 29 f.), der sich die Kammer anschließt, auf die zu erwartenden Kosten notwendiger Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen nicht an, da die Betriebspflicht nicht unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit steht.
Ferner ist die Instandsetzungsanordnung entgegen den Ausführungen der Antragstellerin hinreichend bestimmt i. S. v. § 37 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz. Inhaltlich hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt nämlich dann, wenn er aus sich heraus für den Adressaten verständlich ist und dieser in die Lage versetzt wird zu erkennen, was genau von ihm gefordert wird. Dabei reicht es gegenüber einem technisch versierten Adressaten regelmäßig aus, ein zu erreichendes Ziel vorzugeben und dem Adressaten die Wahl der Mittel zu überlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1971 – I C 29.67 –, juris, Rn. 11 m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt die streitige Instandsetzungsverfügung. Die Antragsgegnerin hat die wiederherzustellende Eisenbahnanlage durch Angabe der Streckennummer und des betreffenden Abschnitts eindeutig bezeichnet. Das zu erreichende Instandsetzungsziel hat sie ebenfalls benannt, nämlich die Herstellung eines technischen Zustandes, der einen Zugverkehr ermöglicht. Welche Einzelmaßnahmen nach dem derzeitigen Stand der Technik erforderlich sind, damit die Eisenbahnstrecke sicher und im Rahmen der gegenwärtig genehmigten Kapazität befahren werden kann, ist der Antragstellerin als technisch versierter Betreiberin von Eisenbahninfrastruktur bekannt. Jedenfalls war es ihr möglich, wie der 5 von ihr erarbeitete Maßnahmenkatalog zeigt, mithilfe sachverständiger Mitarbeiter hinreichend sicher zu bestimmen, was nach dem Bescheid von ihr verlangt ist.
Allerdings vermag die Kammer nicht abschließend zu entscheiden, ob die angegriffenen Verfügungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und ob es der Antragstellerin möglich ist, die angeordnete Instandsetzung einer etwa 45 km langen Eisenbahnstrecke innerhalb der von der Antragsgegnerin bestimmten Frist durchzuführen. Hierzu muss einerseits ermittelt werden, ob die Einschätzung der Antragstellerin zutrifft, es seien umfangreiche naturschutzrechtliche Genehmigungen einzuholen, die notwendigen Planungs- und Bauleistungen seien EU-weit auszuschreiben und mit dem Abschluss der Bauarbeiten sei frühestens im Sommer 2023 zu rechnen. Angesichts der hier nur möglichen summarischen Prüfung kann das Gericht dabei nicht beurteilen, ob die von der Antragstellerin dargelegte umfangreiche Sanierung des streitgegenständlichen Streckenabschnitts die einzige Möglichkeit zur Instandsetzung darstellt oder ob, wie die Antragsgegnerin meint, die Strecke in kürzerer Zeit wieder sicher befahrbar gemacht werden kann, etwa indem an mehreren Teilabschnitten der Eisenbahnstrecke parallel gearbeitet wird. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass dem Grunde nach bereits seit dem Jahr 2007 feststeht, dass die Antragstellerin verpflichtet ist, die streitige Strecke in einem betriebssicheren Zustand für den Eisenbahnverkehr vorzuhalten bzw. in einen betriebssicheren Zustand zu versetzen. Es könnte rechtsmissbräuchlich sein, diese Pflicht über Jahre nicht zu erfüllen und sich dann gegen deren Durchsetzung mit Verweis auf den (zeitlichen) Umfang der nun notwendig werdenden Arbeiten zur Wehr zu setzen.
Angesichts dessen stellen sich komplexe Sach- und Rechtsfragen, deren Klärung aufgrund der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten im Eilverfahren dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
Dies gilt auch für die in Ziffer 1 Buchst. e des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember 2021 enthaltene Anordnung, der Antragsgegnerin monatlich einen mit Nachweisen versehenen Bericht über die Instandsetzungsmaßnahmen und den jeweiligen Baufortschritt vorzulegen sowie die damit verbundene Zwangsgeldandrohung in Höhe von _ _ _ €. Diese Anordnungen finden zwar ihre Rechtsgrundlage in § 5a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 AEG bzw. § 5a Abs. 9 AEG i. V. m. § 6 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Buchst. b, § 11, § 13 VwVG, wonach u. a. Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Eisenbahnaufsichtsbehörden alle für die Durchführung der Eisenbahnaufsicht erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Nachweise zu erbringen haben. Es ist jedoch bei summarischer Prüfung offen, ob diese Auskünfte und Nachweise erforderlich im Sinne des § 5a Abs. 5 Satz 1 AEG sind. Denn diese Entscheidung hängt von der Rechtmäßigkeit der Instandsetzungsverfügung nach Ziffer 1 Buchst. c und d des angegriffenen Widerspruchsbescheides ab, deren Beachtung und Durchsetzung die verfügte Auskunftspflicht bezweckt.
Bei der von daher vorzunehmenden Folgenabwägung gebührt dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Denn würde der Vollzug der Regelungen in Ziffer 1 Buchst. c–f des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2021 ausgesetzt, erweisen sich diese aber in einem späteren Hauptsacheverfahren als rechtmäßig, könnte dies dazu beitragen, 6 die Instandsetzung der Eisenbahnstrecke […] und damit verbunden die Verwirklichung des Anspruchs anderer Eisenbahnunternehmen auf diskriminierungsfreien Netzzugang nach § 10 Abs. 1 Eisenbahnregulierungsgesetz zu verzögern oder zu vereiteln. Dies wiegt vorliegend insbesondere deswegen schwer, da mit der Beigeladenen im Februar 2020 ein Eisenbahnverkehrsunternehmen konkreten Bedarf an der Strecke für die Zeit ab Dezember 2021 angemeldet hat. Solange die Strecke nicht betriebsbereit ist, drohen der Beigeladenen jährlich Umsatzausfälle, die von dieser in nachvollziehbarer Weise mit über 1,5 Mio. € beziffert worden sind.
Bleiben die Anordnungen dagegen sofort vollziehbar und stellt sich im Hauptsacheverfahren heraus, dass sie rechtswidrig gewesen sind, entstehen bei der Antragstellerin keine tiefgreifenden, irreversiblen Beeinträchtigungen ihrer Rechte. Die Pflicht der Antragstellerin zur Instandhaltung der Strecke […] steht seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2007 – 3 C 51.06 – grundsätzlich fest. Erweisen sich die streitigen Zwangsgeldandrohungen als rechtswidrig, wären eine möglicherweise erfolgte Zwangsgeldfestsetzung aufzuheben und ein bezahltes Zwangsgeld zu erstatten. Das verbleibende Interesse der Antragstellerin, einen vorübergehenden Liquiditätsverlust zu vermeiden, wiegt nicht schwer. Denn die Antragstellerin behauptet nicht, ihre wirtschaftliche Existenz sei bei Festsetzung des Zwangsgeldes gefährdet und dies liegt angesichts dessen, dass es sich bei ihr um ein bundeseigenes Unternehmen handelt und angesichts des Umfangs ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten auch fern.
Vor dem Hintergrund der in dieser Weise betroffenen Belange haben das Netzzugangsrecht der Beigeladenen und damit das öffentliche Interesse an der Vollziehung der angegriffenen Regelung Vorrang vor den rechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin, zumal diese von der Möglichkeit, ein Stilllegungsverfahren einzuleiten und nach Abschluss dieses Verfahrens den Betrieb des streitgegenständlichen Streckenabschnitts einzustellen, keinen Gebrauch gemacht hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dabei entspricht es der Billigkeit im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 sowie § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer bemisst das Interesse der Antragstellerin an der begehrten Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nach den Kosten, die voraussichtlich bei einer Instandsetzung der streitigen Eisenbahnstrecke anfallen werden. Nach den Angaben der Antragstellerin auf Seite 7 ihres Widerspruchs vom 13. August 2021 (Bl. 9 der Widerspruchsakte) ist dies die Summe von _ _ _ €, die über der Grenze des § 39 Abs. 2 GKG (30.000.000,00 €) liegt. Dabei war zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin nicht nur gegen die Zwangsgeldandrohung wendet, sondern auch gegen die (unbefristete) Instandsetzungsverfügung selbst. Bei dieser Instandsetzungsverfügung handelt es sich auch nicht um eine bloße Wiederholung der Verfügungen der Antragsgegnerin aus dem Jahr 2003. Denn seit diese in Bestandskraft erwachsen sind, hat sich der zugrundeliegende Sachverhalt verändert, weil eine mehr als geringfügige Verringerung der 7 Kapazität der streitgegenständlichen Eisenbahnstrecke genehmigt worden ist. Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war das Interesse in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169) mit der Hälfte des Wertes in einem Hauptsacheverfahren zu bemessen.
Gericht | VG Koblenz |
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Typ | Beschluss |
Datum | 10.03.2022 |
Normen | § 80 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 VwGO, § 4 Abs. 3 S. 2 AEG, § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 a Nr. 1 lit. a AEG, § 5a Abs. 2, Abs. 9 AEG, § 6 Abs. 1 AEG, § 11 Abs. 1 AEG, § 9 Abs. 1 lit. b VwVG, § 11 VwVG, § 13 VwVG, § 37 VwVG, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BEVVG, § 10 ERe |
Stichworte | Vegetation, betriebssicher, Sicherheit, Eisenbahninfrastruktur, Aufsicht, Betriebspflicht, Kosten, Instandhaltung, Bestimmtheitsgebot, Instandsetzungsverfügung, Maßnahmen, verhältnismäßig, Sanierung, rechtsmissbräuchlich, Netzzugang, Zugangsanspruch, diskriminierungsfrei, Zwangsgeld |