OLG Dresden, Urteil vom 24.03.2021
Az.: U 5/20 Kart
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1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. Februar 2020 (5 O 1477/19) abgeändert und die Klage als derzeit unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
l.
Die Parteien streiten um Nutzungsentgelt- und Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Nutzung von Gleisanschlussanlagen der Klägerin an deren Eisenbahninfrastruktur durch die Beklagte. Das Landgericht hat die Beklagte am 21. Februar 2020 zur Zahlung von _ _ _ EUR Nutzungsentgelt nebst Zinsen für die Jahre 2015 bis 2018 verurteilt und die auf die Feststellung von Schadensersatzansprüchen wegen der Sperrung des Güterbahnhofs H. und daraus folgender Beeinträchtigung des Gleisanschlusses der Beklagten im Bahnhof H.-T. vom 12. Dezember 2015 bis zum 21. Dezember 2016 gerichtete Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das landgerichtliche Urteil, soweit dieses der Klage auf Zahlung eines Nutzungsentgelts stattgegeben hat. Die erstinstanzlich abgewiesene Wider-Feststellungklage verfolgt sie nicht mehr weiter, macht aber die Ansprüche, die Gegenstand der Widerklage waren, noch hilfsweise im Wege der Aufrechnung gegen die Klageforderung geltend.
Nr. 10 Abs. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Infrastrukturanschlussvertrages ([…] im Folgenden IAV) vom 24. Januar 2005 lautet wie folgt:
"Für die Vorhaltung und Instandhaltung der Anschlussweiche, ihrer Schutzanlagen bzw. signaltechnischen Einrichtungen (Ziffer 7) in den Anschlussanlagen wird ein Entgelt entsprechend der Anlagenpreisliste der DB Netz in der jeweils gültigen Fassung erhoben. Die Höhe des Entgelts sowie die Zahlungsbedingungen ergeben sich aus der Zusammenstellung der Entgelte […]. Die Zahlung des Entgelts erfolgt ab dem Jahr 2005."
Im Ursprungsvertrag enthielt Nr. 10 Abs. 2 die Angabe, dass Flächen nach einem Lageplan unter den Anschlussgleisen für drei Jahre mietfrei vermietet würden. Diese Regelung lautet seit dem von beiden Parteien unterzeichneten Nachtrag 1 zum Vertrag vom 01./09. Oktober 2008 […], dessen Bedingungen von der Klägerin gestellt worden waren, nunmehr wie folgt:
"Im Zusammenhang mit dem Infrastrukturvertrag vermietet die DB Netz dem Anschließer folgende Geländeflächen unter den Anschlussanlagen ab der Anschlussgrenze: [Es folgen Flurbezeichnungen mit Flächenangaben].
Die Höhe der Geländemiete sowie die Zahlungsbedingungen hierfür ergeben sich aus der Zusammenstellung der Entgelte […]."
Nr. 10 Abs. 4 enthält ein Recht der Klägerin, die Miete nach billigem Ermessen geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen.
Anlage 4 lautet seit dem Nachtrag 1 wie folgt:
„Überschrift
Diese Zusammenstellung gehört zum Vertrag Nr.....
Sie gilt ab 01.01.2009 bis auf Widerruf oder bis zur Beendigung des Vertrages.
1. Vorhaltung der Anbindung an das Netz der DB Netz mit der Anschlussweiche […] 5.640,00 €
2. Kreuzung […] (61 m Gleis, 15, 55 €/m) 948,55 €
3. Instandhaltung (ohne Erneuerung) der Schutzweiche […] 1. 027,00 €
4. Bahnübergang ... anteilig 186,50 €
5. Miete für 24.513 m2 Gelände x 0,41 € pro m2 10. 050,33 €
A. Summe der umsatzsteuerpflichtigen Beträge: 17. 852,38 €
B. Jahresbetrag der Entgelte: 17. 852,38 €
C. Umsatzsteuer (zur Zeit 19 %) 3. 391,95 €
D. Gesamtbetrag 21. 244,33 €
[Es folgen Angaben zur Fälligkeit und Kontoverbindung]"
Mit Schreiben vom 07. Februar 2014 übersandte die Klägerin der Beklagten einen Entwurf für eine Neufassung des IAV. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 04. April 2014, dass sie keinen Grund sehe, den Vertrag völlig neu zu fassen, es könnten doch auch punktuelle Änderungen des bestehenden Vertrages verhandelt werden […]. Im Übrigen ergebe sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, dass die von der Klägerin verlangten Entgelte überhöht seien. Deshalb werde die Zusammenstellung der Entgelte nach Anlage 4 des Vertrages vollständig widerrufen; Rückzahlungsansprüche würden vorbehalten.
Mit Schreiben vom 01. Juli 2016 bezog sich die Beklagte erneut auf ihren Widerruf; zudem forderte sie die Klägerin auf, den Nachweis zu führen, dass die verlangten Entgelte nicht den Betrag übersteigen, der zur Kostendeckung erforderlich sei und erklärte, dass wegen der Baumaßnahmen der Klägerin ohnehin nur geminderte Entgelte geschuldet würden […].
Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die Darstellung der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die Beklagte führt gegen die landgerichtliche Entscheidung an, dass die Entgeltregelungen in dem Vertrag zwischen den Parteien einer AGB-Kontrolle nicht standhielten, weil diese Regelungen vom gesetzlichen Grundgedanken des § 13 AEG abwichen und die Regelungen zudem unangemessenen seien. Aufgrund von § 13 Abs. 1 AEG sei die Klägerin zur Anschlussgewährung verpflichtet und ihr stehe allenfalls ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Anschlussgewährung, nicht aber ein Entgelt zu. Der von der Klägerin in ihren AGB verwendete Begriff der "Vorhaltung" entspreche nicht dem Grundgedanken des § 13 AEG, sei intransparent, überraschend und mehrdeutig. Weil § 13 AEG lediglich einen Anspruch über die tatsächlich entstehenden Kosten gewähre, sei es der Klägerin verwehrt, in gleichem Anwendungsbereich ein pauschales, der Höhe nach nicht nachvollziehbares Entgelt zu beanspruchen, das ihr eine Gewinnerzielung ermögliche. Die Klägerin könne lediglich Kosten für die Inspektion und Wartung der zum Betrieb der Anschlussweiche erforderlichen Schutzanlagen der technischen Einrichtungen verlangen, entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes aber 4 nicht sämtliche Kosten des Gleisanschlusses. Das Entgeltverlangen der Klägerin sei auch einer Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB entzogen, falls die von der Klägerin geltend gemachten Entgelte gemäß Nr. 10 IAV nach der Preisliste der DB Netz in der jeweils gültigen Fassung bemessen und erhoben würden. Wenn dies so zu verstehen sei, dass sich die Klägerin mit einer bedingungslosen und dynamischen Verweisungsklausel das Recht ausbedungen habe, die Entgelte einseitig durch Preisliste festzusetzen, führe dies dazu, dass die Billigkeitskontrolle eröffnet sei.
Fehlerhaft habe das Landgericht auch gemeint, der Formulierung in Anlage 4 des Vertrages - die Preisentgelte gelten bis auf Widerruf oder bis zur Beendigung des Vertrages - sei kein Widerrufsrecht zu entnehmen. Vielmehr sei dem Wortlaut zu entnehmen, dass beide Vertragsparteien ein Recht auf Widerruf der Anlage 4 haben sollten. Da die Formulierung von der Klägerin gestellt sei, gingen Auslegungszweifel zu Lasten von dieser.
Schließlich seien die Entgelte kartellrechtswidrig i.S.d. Art. 102 AEUV und der §§ 19, 20 GWB. Die Beklagte habe bereits erstinstanzlich dargelegt, dass nach Auffassung des Eisenbahnbundesamtes die von der Klägerin verlangten Entgelte nach § 13 AEG von den angemessenen Entgelten abwichen und die Klägerin unangemessen überhöhte Entgelte verlange. Im Gegensatz zu den von der Klägerin beanspruchten Entgelten in Höhe von 10.146, 00 EUR pro Jahr könne die Klägerin bei Zugrundelegung der Auffassung des Eisenbahnbundesamtes in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Bedienung des Gleisanschlusses allenfalls einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 3. 565,00 EUR pro Jahr beanspruchen. Die Klägerin nutze ihre Monopolstellung aus, um ungünstige, unangemessene und überhöhte sowie intransparente Entgelte durchzusetzen, da sie 90 % des gesamten Schienenverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland betreibe, mehrere Tausend Gleisanschlüsse an das Netz der Klägerin anschließe und zu diesen Gleisanschlüssen keine Ausweichmöglichkeit zur Verfügung stehe.
Schließlich stünden der Beklagten Minderungs- und Schadensersatzansprüche zu infolge von baubedingten Einschränkungen und Beeinträchtigungen des Gleisanschlusses. Die Rechtsauffassung des Landgerichtes, wonach der Klägerin kein Anspruch auf einen jederzeitigen Zugang zum Netzanschluss der Klägerin zustehe, sei nicht nachvollziehbar und rechtlich nicht begründbar. Soweit sich das Landgericht auf eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main beziehe, das die gleichen Ausführungen enthalte, sei dieses Urteil mittlerweile mit Urteil vom 12. März 2020 vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Az. 16 U 158/18) aufgehoben worden. Dort habe das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entgegen der Auffassung des Landgerichts Leipzig festgestellt, dass es eine vertragliche Pflichtverletzung sei, welche die Klägerin die Schienenbenutzung nicht zu den vereinbarten Zeiten ermögliche. Nachfolgend trägt die Beklagte umfangreich dazu vor, dass die Klägerin Baumaßnahmen durchgeführt habe, ohne auf die Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, was dazu geführt habe, dass der Hafen der Beklagten nicht mehr von "Ganzzügen" mit einer Länge von 600 m und nicht mehr mit elektrisch angetriebenen Fahrzeugen angefahren werden konnte, es deshalb zu einer erheblichen Reduzierung der Auslastung des Hafens der Beklagten und zum Verlust eines wichtigen Kunden der Beklagten gekommen sei und hieraus der Beklagten ein Schaden in Höhe von 442.440,10 EUR entstanden sei. Dabei habe die Beklagte bereits einen Betrag von 120. 000,00 EUR für eingesparte Aufwendungen in Abzug gebracht. Außerdem seien der Beklagten durch Totalsperrungen und 5 Beeinträchtigungen in den Jahren 2017 und 2018 für notwendige Umleitungen auf Alternativstrecken Mehrkosten in Höhe von 11. 500, 00 EUR entstanden, mit denen sie gleichfalls aufrechne. Schließlich seien die für die Jahre 2014 und 2015 geltend gemachten Ansprüche verjährt, da entgegen der Ansicht des Landgerichts die Bezeichnung im Mahnbescheidsantrag nicht geeignet gewesen sei, eine verjährungshemmende Wirkung zu entfalten.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Entgeltregelungen hielten einer AGB-rechtlichen Prüfung stand und es läge keine Unvereinbarkeit mit dem Grundgedanken des § 13 AEG vor. Die Parteien hätten sich einvernehmlich auf ein Entgelt verständigt, wie es in § 13 Abs. 2 AEG vorgesehen sei, weshalb es nicht auf die Regelungen des §315 Abs. 3 Satz 1 BGB ankomme. Die entgeltliche Regelung sei nicht unangemessen. Aus der Formulierung in Anlage 4, wonach diese bis auf Widerruf oder bis zur Beendigung des Vertrages gelte, ergebe sich kein einseitiges Widerrufsrecht der Beklagten, so dass auch kein einseitiges Bestimmungsrecht der Klägerin vorliege. Auch hätten die Parteien selbständig Vertragsänderungen einvernehmlich vorgenommen und es habe keine einseitige Preisbestimmung durch die Klägerin stattgefunden. Die Regelung sei so zu verstehen, dass die Klägerin die Zusammenschau der Entgelte widerrufen könne, was jedoch keine vertragsändernde Wirkung habe, sondern die Klägerin dazu verpflichte, sich mit der Beklagten auf die neuen Anschlusskosten und die vertragliche Laufzeit einer neuen Entgeltzusammenschau zu einigen. Die Entgeltregelung sei auch nicht kartellrechtlich nichtig, wie das Landgericht ohne Rechtsfehler entschieden habe, da die Beklagte einen Preishöhen- oder Ausbeutungsmissbrauch der Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe. Schließlich könne die Beklagte die Klageforderung nicht mindern und es stünden ihr keine Schadensersatzansprüche zu. Eine Minderung komme aus den Gründen, wie das Landgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil festgestellt habe, nicht in Betracht. Eine Anschlussverpflichtung aus § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG führe nicht dazu, dass der Zugang zur Eisenbahninfrastruktur selbst einzuräumen sei. Einer Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch stehe zudem entgegen, dass die Beklagte gegen die Abweisung der positiven Feststellungswiderklage der Beklagten kein Rechtsmittel eingelegt habe. Die Feststellung des Landgerichts, dass der Beklagten insoweit keine Schadensersatzansprüche zustünden, sei daher in Rechtskraft erwachsen. Soweit die Beklagte zudem eine hilfsweise Aufrechnung mit einem angeblichen Schadensersatzanspruch erhebe, der nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen sei, lägen die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 533 Nr. 1 ZPO nicht vor, da die Klägerin hierzu ihre Einwilligung nicht erteile und die Zulassung auch nicht sachdienlich sei. Schließlich sei die Forderung der Klägerin auch nicht teilweise verjährt, da das Landgericht zu Recht von einer hinreichenden Bestimmtheit des Mahnbescheids ausgegangen sei.
Die Beklagte hält dem entgegen, dass sie bereits erstinstanzlich im Schriftsatz vom 14.02.2020 hilfsweise eine Aufrechnung erklärt habe, diese mit dem landgerichtlichen 6 Urteil abgewiesen worden sei und die Abweisung der Feststellungswiderklage einer Fortführung dieser Hilfsaufrechnung nicht entgegenstünde.
Ergänzend hat die Klägerin ausgeführt: Selbst wenn man von einer ausreichenden Darlegung einer Missbräuchlichkeit ausginge, läge kein Missbrauch vor. Die vereinbarte Vergütung sei angemessen, wenn man mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts annähme, dass die anschlussberechtigte Eisenbahn alle laufenden Kosten des in Rede stehenden Anschlusses zu tragen habe. Dann bleibe der verlangte Preis hinter den tatsächlichen Kosten zurück. Selbst wenn man einen wirksamen vollständigen Widerruf der Preisvereinbarung durch die Beklagte annehme, sei dies letztlich unbeachtlich. Denn dadurch, dass die Beklagte den Gleisanschluss auch nach Zugang der Widerrufserklärung vom 04. April 2014 genutzt habe, habe sie sich erneut zur Zahlung der Anschlussentgelte verpflichtet, da konkludent die gleiche Entgeltvereinbarung zustande gekommen sei. In der Inanspruchnahme liege eine Realofferte durch schlüssiges Verhalten. Ein Widerspruch zu dem eigenen Verhalten im Hinblick auf den Widerruf sei unbeachtlich. Auch sei der Widerruf der Beklagten nach Treu und Glauben unbeachtlich, da die Klägerin den Gleisanschluss in der Folgezeit vorgehalten und die Beklagte ihn in Anspruch genommen habe, obwohl sie wusste, dass dies nur gegen Entgelt erfolge könne. Hätte sie dies verhindern wollen, hätte sie in angemessener Zeit eine Prüfung der An schlusskosten durch einen Antrag auf Festsetzung der angemessenen Anschlusskosten durch das Eisenbahnbundesamt veranlassen müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Zahlungsklage der Klägerin ist derzeit unbegründet, weil es aktuell an einer wirksamen Entgeltregelung für den Gleisanschluss mangelt.
1. Bei den Regelungen in Anlage 4 IAV in der Fassung des Nachtrags handelt es sich um von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Aufgrund der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB ist zugunsten der Beklagten anzunehmen, dass die Formulierung in Anlage 4 beide Parteien zum Widerruf des vereinbarten Entgeltes berechtigen soll. Die Beklagte hat dieses Widerrufsrecht mit ihrem Schreiben vom 04. April 2014 an die Klägerin wirksam ausgeübt, so dass seit dessen Zugang keine Entgeltregelung mehr besteht.
a) Nach dem Wortlaut der Anlage 4 zum IAV („Diese Zusammenstellung [...] gilt ab 01.01. 2009 bis auf Widerruf“) sollen deren Preisregelungen nur bis zu einem im sonstigen Vertrag nicht näher definierten Widerruf gelten. Zwar könnte man annehmen, dass das genannte Recht zum Widerruf allein bei der Klägerin liegen soll mit der Folge, dass nach Erklärung des Widerrufs beide Parteien verpflichtet wären, einen neuen Preis auszuhandeln. Die Anlage 4 zum IAV selbst enthält hierfür aber keine Anhaltspunkte. Zwar könnte Nr. 10 Abs. 1 IAV („[...] wird ein Entgelt entsprechend der Anlagenpreisliste der DB Netz in der jeweils gültigen Fassung erhoben [...]“) so gelesen werden, dass der Klägerin generell ein einseitiges, freies Preisbestimmungsrecht zustehen soll. Einem 7 solchen Verständnis ist die Klägerin jedoch selbst entgegen getreten und hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich.
Dagegen spricht der Wortlaut für ein – allein auf die Zukunft ausgerichtetes – Widerrufsrecht für beide Parteien. Eine solche Auslegung widerspricht auch nicht einer interessengerechten Auslegung. Denn anders al bei sonstigen Verträgen, bei denen ein einseitiges Widerrufsrecht einer Partei nur in Bezug auf den Preis bei Festhalten an den sonstigen Regelungen des Vertrages fernliegend wäre, eröffnet die dem Vertrag zugrunde liegende gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 2 AEG jeder Partei die Möglichkeit, eine behördliche Festsetzung des angemessenen Entgeltes zu verlangen. § 13 Abs. 2 AEG in der bis 2016 geltenden Fassung lautet wie folgt:
"Im Falle der Nichteinigung über die Bedingungen des Anschlusses sowie über die Angemessenheit der Kosten entscheidet, wenn eine Eisenbahn des Bundes beteiligt ist, das Eisenbahn-Bundesamt, in den übrigen Fällen die zuständige Landesbehörde."
Die hoheitliche Entscheidung der Behörde hat in diesem Fall dann vertragsersetzende Wirkung (siehe BVerwG, Urt. v. 03. März 2016, 6 C 64/14, NVwZ-RR 2016, 563, Rn. 23); nichtsdestoweniger handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt (NomosBR/Kramer AEG/Kramer, 1. Aufl., § 13 Rn. 5). Ein solches Verständnis steht auch im Einklang mit den Zielen des § 13 Abs. 2 AEG. Aus der im Normtext enthaltenen Vorgabe einer "billigen" Regelung der Bedingungen und Kosten des Anschlusses ergibt zudem, dass Zugangsrechte nicht dadurch unterlaufen werden dürfen, dass die anschlussverpflichteten Eisenbahnen ihre Verhandlungsmacht missbrauchen (BVerwG aaO., Rn. 26)- Mit diesem Ziel steht ein Verständnis der Vertragsklausel im Einklang, nach der (auch) Anschlussnehmer die bislang bestehende Vergütungsregelung auf Grund von Zweifeln, ob diese (noch) der Billigkeit entspricht, beenden und eine behördliche Festsetzung herbeiführen kann, ohne dass hierzu der gesamte Vertrag gekündigt werden müsst.
Dies bedeutet, dass die Annahme eines einseitigen Widerrufsrechts für beide Parteien hinsichtlich der vereinbarten Entgeltbestimmung nicht zu einer Regelungslücke führt, sondern nur zu der Notwendigkeit, sich entweder über ein neues Entgelt zu verständigen oder aber eine behördliche Festsetzung zu beantragen.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nach dem Widerruf keine neue, gleichlautende Entgeltregelung durch konkludentes Verhalten der Beklagten zustande gekommen. Das Verhalten der Beklagten ist auch nicht rechtsmissbräuchlich.
a) Die Beklagte hat zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht bereit ist, das bisher gezahlte Entgelt weiter zu entrichten und sich darauf berufen, dass die die Klägerin überhöhte Entgelte verlange. Wenn sie dann die Anschlussanlage weiter benutzt hat, liegt hierin kein Angebot, die Gleise zu den bisherigen Vereinbarungen weiter zu nutzen, sondern nur dasjenige, ein neu zu vereinbarendes oder behördlich festgesetztes Entgelt zu entrichten. Die Klägerin hat demgegenüber in den Folgejahren lediglich das bisherige Entgelt gefordert und weder ein geändertes Angebot unterbreitet noch eine Festsetzung des Entgelts durch das Eisenbahnbundesamt beantragt. Bei diesem wechselseitigen Verhalten kann ein Vertragsschluss durch konkludente Willenserklärungen der Parteien nicht festgestellt werden.
b) Soweit die Beklagte darauf abstellt, es sei treuwidrig, dass die Beklagte trotz Widerruf keinen Antrag beim Eisenbahnbundesamt auf Festsetzung des Entgelts gestellt hat, ist dem entgegenzuhalten, dass auch die Klägerin berechtigt wäre, einen derartigen Antrag zu stellen (vgl. hierzu die Sachverhalte in LG Köln, Urteil vom 31. 01. 2019, 2 O 22/18, und BVerwG aaO.). Da die Klägerin selbst eine Entgeltfestsetzung betreiben kann, ist nicht einsichtig, weshalb das Verhalten der Beklagten rechtsmissbräuchlich sein sollte.
3. Da der Zahlungsanspruch der Klägerin zum jetzigen Zeitpunkt bereits an einer wirksamen Anspruchsgrundlage scheitert, kommt es auf die sonstigen Einwände der Beklagten einschließlich möglicher aufrechenbarer Schadensersatzansprüche nicht mehr an.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711, 709 Satz 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO lagen nicht vor; der Senat hat unter Beachtung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine individuelle Vertragsklausel nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgelegt.
Gericht | OLG Dresden |
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Typ | Urteil |
Datum | 24.03.2021 |
Normen | § 305 BGB, § 305c BGB, § 13 Abs. 2 AEG |
Stichworte | Nutzungsentgelt, Schadenersatz, Gleisanschlussanlage, AGB-Kontrolle, AGB, Vertragsersetzende Wirkung einer behördlichen Entscheidung, Gleisanschluss |