BVerwG, Beschluss vom 21.07.2021
Az.: 6 C 5.19
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Das Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. März 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. September 2017 sind wirkungslos geworden, soweit die Klage der Klägerin gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheides der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen vom 20. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2015 abgewiesen und ihre Berufung zurückgewiesen worden ist.
Die Beklagte trägt 4/5 und die frühere Klägerin zu 2 1/5 der Gerichtskosten in allen Instanzen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin ganz und die außergerichtlichen Kosten der früheren Klägerin zu 2 zu 1/3. Im Übrigen tragen die frühere Klägerin zu 2 und die Beklagte ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf _ _ _ € festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Gründe:
Gegenstand des Verfahrens ist ein im eisenbahnrechtlichen Vorabprüfungsverfahren nach § 14e Abs. 1 Nr. 3 AEG a.F. ergangener Bescheid der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen.
Die Bundesnetzagentur widersprach in Ziffer 1 des Bescheids vom 20. Februar 2015 dem beabsichtigten Abschluss eines Rahmenvertrags zwischen der Klägerin und der DB Fernverkehr AG für eine näher bezeichnete innerdeutsche Trassennutzung und in Ziffer 2 des Bescheids der beabsichtigten Ablehnung eines konfligierenden rahmenvertraglichen Nutzungsbegehrens der Beigeladenen, das einer grenzüberschreitenden Verkehrsverbindung dienen sollte; gleichzeitig verpflichtete sie zur Neubescheidung unter Androhung eines Zwangsgelds (Ziffer 3 und 4 des Bescheids). Streitig war zwischen den Beteiligten im Wesentlichen das zutreffende Verständnis der Prüfungsabfolge der gemäß § 13 Abs. 10 EIBV entsprechend anwendbaren Vorrangkriterien des § 9 Abs. 4 Satz 1 EIBV für den Fall, dass beide Rahmennutzungsbegehren einem vertakteten oder ins Netz eingebundenen Verkehr im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EIBV dienen, und die Bedeutung des in Nummer 2 dieser Bestimmung verwandten Begriffs der "grenzüberschreitenden Zugtrassen".
Gegen den Bescheid vom 20. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2015 haben die Klägerin und in einem gesonderten Verfahren die DB Fernverkehr AG Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat beide Klagen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichteten Berufungen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Auf die Berufung der Klägerin und der DB Fernverkehr AG als Klägerin zu 2 hat es Ziffer 3 des Bescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids sowie auf die Berufung der Klägerin auch dessen Ziffer 4 aufgehoben; im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin, nicht aber die Klägerin zu 2 Revision eingelegt.
Die Klägerin und die Beklagte haben den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übereinstimmend für erledigt erklärt.
Das Verfahren ist entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und über die Kosten des Verfahrens ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, die im Berufungsurteil getroffene Kostenentscheidung aufrechtzuerhalten, soweit dieses Urteil gegenüber der früheren Klägerin zu 2, der DB Fernverkehr AG, in Rechtskraft erwachsen ist. Demgegenüber ist die Klägerin von den Kosten des Rechtsstreits freizustellen, weil ihre ursprüngliche Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Die im Regelentgeltverfahren nach § 13 Abs. 10 i.V.m. § 9 Abs. 4 und 5 der Verordnung über den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und über die Grundsätze zur Erhebung von Entgelt für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur (Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung - EIBV) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 3. Juni 2005 (BGBl. I S. 1566), der hier maßgebliche § 9 Abs. 4 EIBV zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 2 der Vierten Verordnung zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 3. Juni 2009 (BGBl. I S. 1235), getroffene Entscheidung der Klägerin zugunsten des Rahmenvertragsangebots der DB Fernverkehr AG stand im Einklang mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Sicherung des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur. Über konfligierende Rahmenvertragsangebote, die nach der Zweckbestimmung des Rahmenvertrages jeweils einem vertakteten oder ins Netz eingebundenen Verkehr im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EIBV dienten, hatte der Betreiber der Schienenwege - vorbehaltlich der Rechte der Zugangsberechtigten, die sich aus § 13 EIBV ergaben und vorbehaltlich der Bestimmungen des § 19 EIBV - ohne weitere Prüfung der Vorrangkriterien des § 9 Abs. 4 Satz 1Nr. 2 oder 3 EIBV im Regelentgeltverfahren nach § 9 Abs. 5 EIBV zu entscheiden.
Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts lässt sich dem Wortlaut des in § 9 Abs. 4 Satz 1 EIBV verwandten Begriffs der "Reihenfolge" keine verlässliche Aussage dazu entnehmen, ob bei Nutzungsbegehren, die jeweils das Vorrangkriterium der Nummer 1 erfüllen, vor Anwendung des Regelentgeltverfahrens nach § 9 Abs. 5 EIBV eine Fortsetzung der Prüfung durch Ausschöpfung der in Nummer 2 und 3 genannten Kriterien zu erfolgen hat. Ebenso wenig ergibt die in § 9 Abs. 5 Satz 1 EIBV verwandte Wendung von "gleichrangigen Verkehren nach Absatz 4" ein eindeutiges Auslegungsergebnis. Dagegen belegt die in § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EIBV einerseits und den Nummern 2 und 3 andererseits vorgenommene sprachliche Differenzierung zwischen "Verkehr" und "Trassen", dass der Verordnungsgeber bei der Reihung unterschiedliche Regelungsobjekte in den Blick genommen hat und im Konfliktfall jeglichem Taktverkehr oder der Realisierung eines logistischen Netzwerks Vorrang vor Einzelzugtrassen ohne Vernetzung zukommen lassen wollte. Dies verdeutlichen die Verordnungsmaterialien: Die Begründung sowohl zur Neufassung der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung vom 3. Juni 2005 (BR-Drs. 249/05 S. 43 f.) als auch zur Vierten Verordnung zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 3. Juni 2009 (BR-Drs. 294/09 S. 1, 7) sprechen im Zusammenhang mit den Begriffen "grenzüberschreitende Trassen" und "Trassen für den Güterverkehr" jeweils von einzelnen oder (Einzel-)Trassen. Mit der Abänderung der Prioritätenfolge durch die Vierte Änderungsverordnung sollte nach dem Willen des Verordnungsgebers im Falle eines Trassenkonflikts dem vertakteten oder ins Netz eingebundenen (grenzüberschreitenden oder innerstaatlichen) Verkehr Priorität gegenüber (einzelnen) grenzüberschreitenden Zugtrassen und (einzelnen) Zugtrassen für den Güterverkehr eingeräumt werden (BRDrs. 294/09 S. 1).
Zudem führt die im Berufungsurteil gewählte Auslegung des § 9 Abs. 4 und 5 EIBV bei systematischer Betrachtung zu einem Ergebnis, das der hohen Wertigkeit, die § 9 Abs. 5 Satz 2 EIBV dem Schienenpersonennahverkehr zuweist, nicht hinreichend Rechnung trägt. Zwar trifft es zu, dass die Bezugnahme in Absatz 5 auf die Nummer 2 des Absatzes 4 ein redaktionelles Versehen des Verordnungsgebers darstellt, weil die unterlassene Anpassung des Absatzes 5 an die geänderte Prioritätenreihenfolge durch die Vierte Änderungsverordnung in den Verordnungsmaterialien ohne nähere Erläuterung geblieben ist (vgl. BR-Drs. 294/09). Die dort zum Ausdruck kommende Absicht des Verordnungsgebers, die Durchsetzungsfähigkeit des Schienenpersonennahverkehrs zu erhalten, würde allerdings nicht hinreichend berücksichtigt werden, wenn das Regelentgeltverfahren bei einer Konfliktbeteiligung vertakteter oder ins Netz eingebundener, grenzüberschreitender oder Güterverkehre nur im Fall eines Gleichstands auf einer nachrangigen Ebene zur Anwendung käme. Ein Ausschöpfen der nachrangigen Kriterien in § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 EIBV würde im Ergebnis den an letzter Stelle der Reihenfolge genannten "Zugtrassen für den Güterverkehr" den Vorrang gegenüber sonstigen inländischen Verkehren einräumen, falls die beabsichtigte Güterverkehrsdienstleistung vertaktet oder netzeingebunden wäre.
Diese Umkehr der Priorisierung gegenüber der ziffernmäßigen Abfolge ist auch unter Berücksichtigung der Teleologie der Vorrangregelung nicht zu begründen. Ziel der Strukturreform des Eisenbahnrechts war eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen und einer stärkeren Teilhabe der Schiene am Verkehrszuwachs. Dafür sollte ein wirksamer und unverfälschter Wettbewerb auf der Schiene eine effiziente Leistungserstellung befördern und die bestehende Schienenwegkapazität bestmöglich ausgeschöpft werden (vgl. dazu bereits die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens, BT-Drs. 12/4609 S. 1, 53 ff.). Dazu dienten auch die Vorgaben für die Kapazitätszuweisung. Bereits die ursprüngliche Fassung der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3153) sah in § 4 Abs. 5 eine Verhandlungspflicht und im Konfliktfall eine Entscheidung im Höchstpreisverfahren vor. Die nachfolgenden Änderungen der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung haben daran festgehalten, über konfligierende Nutzungsbegehren im Regelfall wettbewerbskonform unter Heranziehung des erzielbaren Entgelts zu entscheiden (vgl. § 9 Abs. 5 und 6 EIBV). Dem Sinn und Zweck des Zuweisungsverfahrens entspricht daher am besten eine Auslegung der Vorrangkriterien, die eine Kapazitätszuweisung am Maßstab der effektiven Nutzung der Schienenwegkapazität über das am Markt erzielbare Entgelt fördert. Das im Berufungsurteil gefundene Auslegungsergebnis, das zu einem generellen Vorrang vertakteter oder ins Netz eingebundener Schienengüterverkehre gegenüber innerdeutschen vertakteten oder ins Netz eingebundenen Personenverkehren führen würde, lässt sich demgegenüber nicht mit dem Willen des Gesetz- oder Verordnungsgebers vereinbaren.
Diese Auslegung der nationalen Vorrangregelung begegnet auch bei Berücksichtigung des zum damaligen Rechtsstand gültigen Unionsrechts keinen Bedenken. Die Vorgaben des europäischen Rechts für die Kapazitätszuteilung ergaben sich im maßgeblichen Zeitpunkt noch aus der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. L 237 S. 25) und der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. L 75 S. 29) in der Fassung der Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft sowie der Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (ABl. L 315 S. 44). Denn die Umsetzungsverpflichtung für die damals bereits in Kraft getretene Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. L 343 S. 32, "Recast") war bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2015 noch nicht abgelaufen (Umsetzungspflicht bis zum 16. Juni 2015, vgl. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 RL 2012/34/EU). Art. 14 Abs. 1 RL 2001/14/EG sah die Möglichkeit einer nationalen Rahmenregelung für die Zuweisung von Fahrwegkapazität vor, sofern dabei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturunternehmens gemäß Art. 4 RL 91/440/EWG gewahrt wurde. Art. 20 Abs. 1 und 2 RL 2001/14/EG verpflichteten den Betreiber der Schienenwege, so weit wie möglich allen Nutzungsanträgen stattzugeben und verboten es, speziellen Verkehrsarten im Netzfahrplanerstellungs- und Koordinierungsverfahren Vorrang einzuräumen. Bei Unvereinbarkeiten zwischen verschiedenen Nutzungsbegehren war ein Koordinierungsverfahren nach Maßgabe des Art. 21 RL 2001/14/EG durchzuführen. Für den Fall, dass auch durch die Koordinierung eine Zuweisung sämtlicher Nutzungsbegehren nicht gelang, war gemäß Art. 21 Abs. 6 RL 2001/14/EG ein Streitbeilegungssystem vorzusehen. Nähere materielle Vorgaben für dieses Streitbeilegungsverfahren, die bei europarechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen gewesen wären, enthielt der europäische Rechtsrahmen dagegen nicht.
Demgegenüber stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht die Frage, ob das derzeit gültige nationale Kapazitätszuweisungsregime für rahmenvertragliche Nutzungsbegehren, für das gemäß § 49 Abs. 10 des Eisenbahnregulierungsgesetzes vom 29. August 2016 (BGBl. I S. 2082 ), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 9. Juni 2021 (BGBl. I S. 1737), die Vorrangregelung für das Netzfahrplanverfahren in § 52 Abs. 7 und 8 ERegG entsprechende Anwendung findet, unter den Maßgaben der Richtlinie 2012/34/EU und der auf Art. 42 Abs. 8 dieser Richtlinie gestützten Durchführungsverordnung (EU) 2016/545 der Kommission vom 7. April 2016 über Verfahren und Kriterien in Bezug auf Rahmenverträge für die Zuweisung von Fahrwegkapazität (ABl. L 94 S. 1) mit Unionsrecht in Einklang steht.
Gericht | BVerwG |
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Typ | Beschluss |
Datum | 21.07.2021 |
Normen | § 9 Abs. 4 und Abs. 5 EIBV, § 13 Abs. 10 EIBV, § 18 ERegG, § 49 Abs. 10 ERegG, § 52 Abs. 7 und 8 ERegG, § 161 Abs. 2 VwGO, Art. 4 Richtlinie 91/440/EWG, Art. 14 Abs. 1 Richtlinie 2001/14/EG, Art. 20 Abs. 1 und 2 Richtlinie 2001/14/EG, Art. 21 Richtlini |
Stichworte | Priorisierung konfligierender eisenbahnrechtlicher Rahmenvertragsangebote, vertakteter oder ins Netz eingebundener Verkehr, Vorrangkriterien, Zugangsrecht, Zugangsanspruch, Kapazität, Vorabprüfungsverfahren, Koordinierungsverfahren, grenzüberschreitend, g |